Hass und Pessimismus sind faule und gefährliche Gefühle, es ist einfacher, sich ihnen hinzugeben, als einen hoffnungsvollen Blick zu wagen.
«Hoffnung ist harte Arbeit!»
Clara Ragaz? Nie gehört! Das Festival «hope.fight.love.» widmet sich der unbekannten Feministin. Wir haben mit Autorin Franziska Schutzbach über Clara Ragaz und die Hoffnung in ungewissen Zeiten gesprochen.

Franziska Schutzbach ist Geschlechterforscherin und Soziologin. Sie schreibt, forscht, unterrichtet und spricht zu verschiedenen Geschlechterthemen wie Sorgearbeit und Vereinbarkeit, geschlechtsspezifische Gewalt, Misogynie und Antifeminismus, Rassismus, reproduktive Gesundheit und Rechte.
Franziska Schutzbach, Clara Ragaz tat zu ihrer Zeit viel für die Gesellschaft. Trotzdem kennt sie heute kaum jemand. Warum ist dem so?
Franziska Schutzbach: Frauen schaffen es selten in den sogenannten Kanon des Wissens, da ihr Wirken historisch immer wieder ausgelöscht wurde. Das hängt damit zusammen, dass in der medialen und wissenschaftlichen Wissensproduktion oft Männer das Zepter in der Hand halten. Und die haben sich meist eher für das interessiert, was sie selbst gemacht haben. Beiträge von Frauen wurden weniger beachtet oder schlicht nicht für wichtig befunden.
Welche Werte waren Clara Ragaz wichtig?
Sie wollte den Kapitalismus, das Patriarchat und den Krieg abschaffen. Sie hat zwei Weltkriege mitbekommen und sich gleichwohl unermüdlich friedenspolitisch engagiert. Sie war der Überzeugung, dass das kapitalistische System nicht alle Menschen gleich gut versorgen kann, sondern immerzu Ausbeutung, Ungleichheit und Gewaltverhältnisse produziert, sodass es immer wieder zu Kriegen kommt. Zudem war sie als Frauenrechtlerin der Meinung, dass es ohne Geschlechtergerechtigkeit keinen Frieden geben kann.
Clara Ragaz war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aktiv. Was hat sich seither getan, das man aus feministischer Sicht fortschrittlich nennen könnte? Wäre Clara Ragaz zufrieden?
Ich tue mich manchmal schwer, Dinge «fortschrittlich» zu nennen, die in einer Demokratie eigentlich Grundrechte sind. Etwa das Frauenstimmrecht, das in der Schweiz erst 1971 umgesetzt wurde! Diesen Gleichstellungsrückstand haben wir bis heute nicht aufgeholt. Wir müssen immer noch oft auf erschöpfende Weise für Dinge kämpfen, die seit langer Zeit Verfassungsauftrag oder Menschenrechte sind. Etwa Antidiskriminierung, Lohngleichheit. Auch Dinge wie Elternzeit, gratis Kitaplätze, Frauenquoten oder anderes sind in anderen Ländern längst selbstverständlich. Dennoch ja, viele Dinge haben sich seit Clara Ragaz durch unermüdliche Kämpfe verbessert. Wichtige Fortschritte sind etwa die gesetzliche Gleichstellung, das Recht, eigenes Geld zu verdienen, sich scheiden lassen zu können, und dass Vergewaltigung in der Ehe strafbar ist.
Rechtspopulismus, Klimakatastrophe und Kriege: Aktuelle Nachrichten können erschöpfend sein. Wie nehmen Sie die heutige Zeit wahr?
Ich finde es schwer, nicht zu verzweifeln. Aber genau das sollten wir versuchen. Zynismus und Hoffnungslosigkeit halte ich für rückwärtsgewandte Gefühle, man muss ihnen widerstehen, sonst wird man anfällig für autoritäre extremistische Angebote. Wer sich dem Pessimismus hingibt, wird offen für das Gefühl, dass «eh alles egal» ist. Das ist der Moment, in dem man schulterzuckend hinnimmt, wenn autoritäre Kräfte an die Macht kommen oder man selbst menschenfeindlich wird. Hoffnungslosigkeit, Hass und Pessimismus sind faule und gefährliche Gefühle, es ist einfacher, sich ihnen hinzugeben, als einen hoffnungsvollen Blick zu wagen.
Wie behält man die Hoffnung und den Glauben an die Menschheit?
Hoffnung ist nicht einfach da, Hoffnung ist harte Arbeit, die wir immer wieder neu leisten müssen. Für mich ist nicht so sehr die Frage, ob ich Hoffnung habe, das scheint mir eine zu passive Vorstellung, sondern die Frage ist, ob und wie ich es schaffe, mich für Hoffnung zu entscheiden. Ich habe Hoffnung, weil ich es so will. Das ist übrigens nicht nur ein weltverbesserischer Impuls, sondern hat auch ganz egoistische Gründe: Ich fühle mich besser, wenn ich Hoffnung habe, es geht mir besser, ich habe mehr Kraft und mehr Lebensfreude.
Wie erarbeitet man sich Hoffnung und Zuversicht?
Ich habe keine Rezepte, aber ich persönlich bin besser im Hoffen, wenn ich übe, auch das Unperfekte und das Scheitern der Menschen zu akzeptieren. Die Philosophin Christina Thürmer-Rohr spricht von einer Freundschaft zu einer Welt, die wir lieben müssen, gerade weil sie so unperfekt ist. Wir haben nun mal keine andere Welt als diese.
Interview: Anne-Cathérine Schürmann und Anja Metzger

Sich in ungewissen Zeiten nicht entmutigen lassen: Clara Ragaz (1874–1957) hat es vorgemacht! Als Feministin und Pazifistin hat sie Handlungsräume aufgezeigt und sich der Macht der Gewohnheit entgegengestellt: Sie hat zwei Weltkriege miterlebt, aber die Hoffnung an eine gerechtere Gesellschaft nie aufgegeben. Eine andere Welt ist möglich, und für die lohnt es sich zu kämpfen.
Die Zeitschrift «Neue Wege» organisiert vom 4. bis 6.Oktober das «hope.fight.love.»-Festival in der Citykirche Offener St. Jakob in Zürich. Geboten wird ein vielfältiges Programm mit Workshops, Podium, Konzert und Gottesdienst. Das Festival wird vom Kulturprozent der Migros Zürich unterstützt.